Spezialist oder breites Allround-Wissen? Eigentlich ist das eine ketzerische Frage: Selbstverständlich sollten sowohl Rechtsanwälte als auch Steuerberater eine extrem breite, fundierte Basis an Kompetenzen aufweisen, aber auf ihrem eigenen Gebiet unangefochtene Spezialisten sein. Eine T-förmige Wissensgrundlage, so wurde es lange als vorteilhaft für Karriere wie auch Kundschaft propagiert. Aber es gibt auch andere Möglichkeiten. Und die haben Vorteile.

Im Januar 2010 titelte die Webseite Business-Wissen noch „Die Vorteile von Spezialist und Generalist vereint“ und verwies mit einem wortwörtlich blumigen Beispiel (es ging um Gärtner, Rosen und von Koi bewohnte Gartenteiche) darauf, dass ein Gartenexperte mit möglichst breit angelegter Wissensbasis und einem hervorragend ausgebauten Spezialgebiet doch das einzig Wahre sei.

Die Professionals würden als Mitarbeiter zunehmend an Bedeutung gewinnen. Heute sollten sie, geht man von dem damals gegebenen Lobpreis aus, nicht nur eine Selbstverständlichkeit sein, sondern zudem auch überaus beliebt.

Dem ist nicht so, stattdessen werden neue Karrieremodelle mit mehreren Spezialgebieten gefordert. Ob man das nun als Pi-Shaped, mittelalterlichen Säulengang oder (Stichwort Erweiterung – es muss sich nicht immer um das Bewusstsein drehen) als Pilzkarriere bezeichnet, ist eigentlich egal. Aber worum geht es da?

Spezialisierung ja, aber bitte nicht nur eine

Diesmal kein Businessmagazin online, sondern ein Karriereblog. Wir schreiben August 2018, und wieder geht es darum, wie eine Karriere auf Wissen aufgebaut wird. Bitte keine T-Shaped Professionals mehr, schreibt Autorin Svenja Hofert, sondern second skilling. sie versteht darunter, dass (nicht unbedingt geradlinig) ein zweites Fachgebiet aufgebaut wird.

Der T-Shaped Professional bildet also erst einmal die Grundlage. Am Anfang der Karriere stehen immer noch Generalisten, die alles Mögliche schon einmal gemacht haben, von allem ein bisschen Ahnung haben und auf einen unglaublich breiten Erfahrungsschatz zugreifen können.

Auf einem Gebiet sind sie Spezialisten, wahre Experten. Aber mit dieser Ausstattung findet man im digitalen Zeitalter mit seinen sich schnell ändernden beruflichen Anforderungen nicht immer einen Job. Der Frust, dass eine andere Spezialisierung, ein weiteres Fachgebiet oder Zusatzqualifikationen besser wären, wächst sich schnell zu einer Depression aus.

Als Karrierecoach kennt Frau Hofert sich damit aus, weiß auch, dass hinter ihrer Annahme profunde Kenntnisse der Psychologie stehen. Ihr Rat ist einfach: Es wird ein zweites Standbein aufgebaut. Diese zweite Karriere muss weder geradlinig verlaufen, noch muss sie so völlig fern von der ersten sein. Es darf also gerne ein wenig über den Tellerrand geschaut werden, in benachbarten Disziplinen Erfahrung gesammelt werden. Oder auf ganz anderen Gebieten, die aber doch irgendwie mit der ersten Karriere in Verbindung gebracht werden können.

Es geht Svenja Hofert nicht darum, dass der Journalist, der im Feuilleton bisher nur die Theaterrubrik bedient hat, nun auch den Fußballteil der Sportseiten schreiben soll. Oder nebenbei als Freiberufler für ein Hardrock-Magazin tätig werden muss.

Sie denkt an etwas Anderes: Es geht ihr um einen Link in eine andere Branche. Wenn sich der Journalist dann beispielsweise mit Pädagogik befasst, erweitert das sein mögliches Tätigkeitsfeld weg vom Journalismus und hin zu Theater oder zu Schreibschule. Was erst einmal wie ein interessantes Hobby, ein Steckenpferd anfängt, ist letzten Endes auch die Möglichkeit, eine neue Karriere aufzubauen, sich in der bisherigen Karriere besonders zu profilieren oder schlicht die Flucht zu ergreifen. Alles ist möglich.

Durch die Exitoption wird aber wiederum mehr Zufriedenheit im Beruf generiert: Wer nicht bleibt, weil er muss, sondern weil er es kann, tut es ohnehin lieber. Frau Hofert gibt den Rat zum pilzförmigen, Pi-shaped oder m-förmigen (es muss nicht bei zwei Spezialgebieten bleiben) Karriereprofil immer noch als Karrierecoach mit psychologischem Know-How.

Steuerberater und Rechtsanwälte sind die Spezialisten bei Professional Services

Gerade bei diesen beiden Berufsgruppen ist es besonders auffällig: Sie kennen sich insbesondere mit einem speziellen Fall, einem einzigen Paragraphen oder gar einem einzelnen Abschnitt eines Paragraphen (Keine Übertreibung!) besonders gut aus, verfügen ansonsten aber eher über eine sehr breite Wissensbasis in ihrem Feld, die keine weitere Spezialisierung zulässt.

Das ist dann sinnvoll, wenn sich viele solche Spezialisten mit Spezialisten, die an ihr eigenes Gebiet direkt anschließen, in einer Kanzlei zusammenfinden. Denn dann können sie ihrem Kundenstamm gute Dienste leisten, profitieren voneinander und können im Miteinander auch mal über den eigenen Tellerrand schauen. Ob sie dabei glücklich werden, ist eine andere Frage. Voraussetzung ist natürlich, dass man sich in der Kanzlei gut versteht und sich nicht jeweils das Kissen auf dem Stuhl neidet.

Was wäre aber nun, wenn der Anwalt sich nicht nur auf Scheidungsrecht spezialisiert hat, sondern sich in Sachen Steuerrecht weitergebildet hat? Es gibt durchaus Schnittstellen zwischen den beiden Bereichen. Ähnlich sieht es im Bereich Steuerberatung aus: Wer Unternehmen in Deutschland steuerrechtlich berät, muss schon viel Wissen und Können mitbringen.

Nun entsenden Unternehmen aber auch Mitarbeiter/-innen ins Ausland, und zwar über Zeiträume von zwei bis sechs Jahren und sogar außerhalb Europas. Mitsamt deren Familien und den ebenfalls berufstätigen Lebenspartnern und -partnerinnen, die dann im Ausland steuerpflichtig sind. Oder vielleicht auch nicht, denn möglicherweise bleiben die Partner/-innen gerade aufgrund der beruflichen Situation in Deutschland … Nicht überall auf der Welt werden Ehepaare gemeinsam veranlagt. In der Zusammenarbeit mit dem jeweiligen Unternehmen ergeben sich also durch das doppelte Profil (Pi-Shaped Professional) ganz neue Möglichkeiten, die der genannte Steuerberater zuvor nicht hatte.

Sinn und Unsinn liegen oft nah beieinander

Spezialistentum ist nützlich und gut, steht sich aber oft selbst im Weg. Denn nicht umsonst spricht man bei den wahren Experten oft vom Fachidioten. Wir vertreten eher die Meinung, dass Professional Services auf einer breiten Basis von Wissen und Können sowie viel Expertise ruhen sollten. Und damit es auch wirklich professionell wird, gehört das ein oder andere Fachgebiet dazu. Ob man das nun als T-förmiges, Pi-förmiges oder pilzförmiges Profil bezeichnen sollte, ist letzten Endes egal: Solange kein Spargel dabei herauskommt, ist alles in Ordnung.